Carlsbad Caverns

In den Vereinigten Staaten gibt es zahlreiche Höhlen. Die Größe reicht von kleinen Kammern bis hin zu Systemen, die sich über hunderte Kilometer erstrecken. Neben den Mammoth Caves in Kentucky gehören die Carlsbad Caverns im Südosten von New Mexiko zu den beeindruckendsten Unterwelten. Im gleichnamigen Nationalpark gibt es 120 Höhlen.

Billie Myers nimmt uns am Eingang der Slaughter Canyon Cave in Empfang. Die Rangerin ist allein für das Wohlergehen von 20 Leuten verantwortlich. Zunächst jedenfalls. Alle hoffen auf ein besonderes Abenteuer. Benötigt werden lediglich zwei handelsübliche Batterien für die vom Nationalpark zur Verfügung gestellten Helmlampen. Sinnvoll ist zudem die Mitnahme einer Taschenlampe. Derweil kümmert sich Billies Kollege Hugh Hawthorne um eine junge Frau. Für sie hat sich das Erlebnis bereits erledigt: Auf dem Weg zum Höhleneingang hat sie sich den Knöchel verstaucht. Nach einem Drittel des etwa 800 Meter langen steilen, felsigen Wegs vom Parkplatz hinauf zur Höhle ist ihr Ausflug jäh zu Ende.

Slaughter Canyon Cave

Vom Pfad und von dem kleinen Platz vor der Höhle aus bietet sich ein toller Ausblick in den Canyon. Nur wenige, an das extreme Wüstenklima der Chihuahua Wüste angepassten Pflanzen, haben hier eine Chance zu Überleben. In erster Linie gelingt dies Kakteen. Trotz der am frühen Morgen noch relativ milden Temperaturen ist der Aufstieg ziemlich anstrengend. Angeblich soll er eine Dreiviertelstunde dauern. So steht es jedenfalls auf einem Schild am Parkplatz. Wir sind deutlich schneller. Oben angekommen haben wir Zeit, die Aussicht zu genießen. Nebenbei können wir uns mental auf das bevorstehende kleine Abenteuer vorbereiten.

Kaktus, Carlsbad Caverns
@NPS

Dass die Beleuchtung am Körper dringend notwendig ist, wird schnell klar: Die Slaughter Canyon Cave ist im Gegensatz zur eine halbe Autostunde nördlich gelegenen Haupthöhle des Carlsbad Caverns Nationalparks nicht erschlossen. Das bedeutet in erster Konsequenz, dass es hier keinen Strom gibt. Das Tageslicht reicht noch ein gutes Stück in die Höhle hinein. Doch dann umgibt uns Dunkelheit. Sie wird nur von den hellen Punkten der Lampen durchbrochen. Die Sichtweite beträgt nur wenige Schritte. Der Pfad ist ausgetreten. Glitschige, unebene oder mit Steinen und Löchern übersäte Stellen sind Stolperfallen. Volle Konzentration ist nötig, um nicht zu stürzen. Am liebsten würden wir immer wieder stehen bleiben, um die Tropfsteinformationen und Deckendekoration zu genießen. Dazu bietet sich immer dann Gelegenheit, wenn Billie die Gruppe um sich versammelt.

Wir suchen Decken und Wände nach Tropfsteinen und den Überresten von Fledermäusen ab, die einst hier lebten. Es muss eine riesige Kolonie gewesen sein. Irgendwann ging den Tierchen der Platz aus. Der Grund: Ihr Kot stapelte sich im wahrsten Sinne des Wortes bis zur Decke. Etliche Meter hoch soll die Ablagerung der Exkremente gewesen sein. Dieser unter der Bezeichnung Guano bekannte organische Dünger wurde in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts abgebaut. „Er wurde bis zu den Orangenplantagen in Kalifornien verkauft“, erzählt Billie. Sie zeigt auf Reifenspuren. Sie rühren von den damals benutzten schweren Maschinen her. In einer Ecke sind Petroglyphen zu sehen. Die Felsmalereien sollen 700 Jahre alt sein. Dann gehen wir durch eine Guano-Schlucht. In den über unsere Köpfe deutlich herausragenden Wänden sind Knochen und winzige Überreste von Fledermäusen zu sehen. Manche dieser Arten sind schon lange ausgestorben. Der Dung hier erinnert an rote Erde. In der nördlich gelegenen Haupthöhle des zum UNESCO-Weltnaturerbe zählenden Nationalparks ist dieser dagegen kugelförmig und schwarz.

Chinese Theatre, Carlsbad Caverns
@NPS Peter Jones

Tropfstein-Dekorationen

Je tiefer der Weg in die Höhle führt, desto zahlreicher und abwechslungsreicher werden die Dekorationen, sprich: Tropfsteine. Praktisch hinter jeder Ecke wartet eine neue Überraschung, wie etwa die „Chinesische Mauer“. Oder der „Monarch“. Mit fast 30 Metern gehört er zu den höchsten Säulen in einer Höhle. Dann gilt es, einzeln einen zwei Meter hohen Anstieg zu überwinden. Ein mit Knoten versehenes Seil hilft dabei. Dahinter werden wir von einer Formation empfangen, die alles Bisherige in den Schatten stellt: „Gevatter Tod“, „Der Wächter“ oder „Das sechsäugige Monster“. Die Bezeichnungen passen alle irgendwie zu dem im Zwielicht gespenstisch anmutenden Felsen.

Slaughter Canyon Cave, Carlsbad Caverns
@NPS Peter Jones

Einen Raum weiter setzen wir uns unter den „Weihnachtsbaum“. Er wird wegen seines weißglitzernden Überzugs aus „Puderzucker“ so genannt. Hier kommt der Moment, auf den sich jeder Ranger freut: Die Lampen werden nach und nach gelöscht. Nur die unserer Führerin bleibt noch an. Sie richtet den Lichtstrahl auf eine senkrecht stehende „Pizza“ – und man meint, den Käse an ihr herunterlaufen zu sehen. Dann ist auch die letzte Leuchte aus. Die undurchdringliche Dunkelheit ist förmlich mit Händen zu greifen. Nun ist die Zeit für schöne – oft auch gruselige – Geschichten gekommen. Billie entscheidet sich heute für eine wahre Begebenheit. Ihre Story handelt von einem Ranger, der jahrelang Gäste aus der ganzen Welt durch die Slaughter Canyon Cave geführt hat. Terry Baldino kannte sich in „seiner“ Höhle folglich sehr gut aus. Eine Wette mit einem anderen Ranger sollte ihn bei den Kollegen zur Legende machen: Er würde ohne Licht den Weg vom „Weihnachtsbaum“ zurück zum Eingang finden. Das behauptete er jedenfalls. Tatsächlich ist es ein unmögliches Unterfangen. Das musste auch Baldino letztlich einsehen. Zuvor war er drei Stunden in völliger Dunkelheit über den Boden gekrochen. Rangerin Billie: „Als Baldino das Licht einschaltete, befand er sich in einem Teil der Höhle, der selbst ihm noch nicht bekannt war.“

Doch selbst mit Licht ist die Orientierung hier unten nicht immer einfach. Das sollte Billie bald selbst erfahren. Als sie in eine falsche Richtung abbiegt, wird sie von ihrem inzwischen zu uns gestoßenen Kollegen sanft auf den richtigen Weg gewiesen. Nach der Tour wird sie von Hugh mit freundlichem Spott aufgezogen. Später erzählt er, dass Baldino nicht mehr in Carlsbad arbeitet. Er wechselte in eine leitende Position in den Death Valley Nationalpark. Dieses Naturparadies wird allgemein nicht mit Höhlen in Verbindung gebracht. Doch auch dort gibt es welche.

Christmas Tree, Carlsbad Caverns
@NPS Peter Jones

Allerdings längst nicht in der Anzahl und Größe wie in der südöstlichsten Ecke von New Mexico. Hier in den Guadalupe Mountains, die mit dem bereits in Texas liegenden gleichnamigen Nationalpark zum Teil ebenfalls unter Schutz gestellt sind, sind allein im Carlsbad Caverns Nationalpark 120 Höhlen bekannt. Hauptattraktion für die Besucher ist die Carlsbad Cavern. Um dorthin zu gelangen, geht es auf stundenlangen Fahrten von El Paso im Süden oder Albuquerque im Norden durch die Wüste. Das Chihuahuan Desert oder der Llano Estacado rauschen links und rechts am Fenster vorbei.

Carlsbad

Der Eingang des Nationalparks und die Haupthöhle liegen 40 Kilometer nördlich des Slaughter Canyons und fast genauso weit südlich der Stadt Carlsbad. Der nach dem tschechischen Karlsbad – heute Karlovy Vary – benannte Ort eignet sich gut als Standquartier für den Besuch des Nationalparks. Eine Alternative ist das nahe des Parkeingangs gelegene Whites City. Die „Stadt“ hat lediglich sieben Einwohner und besteht im Prinzip nur aus einem Hotel, Restaurants und einigen Shops sowie einem Postamt. Von hier sind es noch etwa sieben Kilometer bis zum Besucherzentrum. Dort ballen sich in der Saison die Touristenmassen. Das in die Jahre gekommene Gebäude wurde vor knapp zehn Jahren für fast acht Millionen Dollar grundlegend saniert und erweitert, um dem Besucheransturm gerecht zu werden. Jedes Jahr sind es etwa 400.000, wovon die meisten im Juli und August kommen.

Apropos in die Jahre gekommen: Das gilt auch für die Fahrstühle. Rangerin Billie erinnert sich an eine Begebenheit, die inzwischen als die sprichwörtliche „gute alte Zeit“ bezeichnet werden kann. „Im März 2005 sind ausgerechnet während der Frühlingsferien drei der vier Fahrstühle defekt gewesen. 2000 Leute wollten nach oben. Da gab es Wartezeiten von mehr als einer halben Stunde.“ Sie hatte damals Dienst. Heute lässt sie keinen Zweifel daran, dass sie spätestens seit diesem Zeitpunkt die Slaughter Canyon Cave vorzieht. Inzwischen ist aus dem gelegentlichen Ausfall der Fahrstühle fast ein Dauerzustand geworden. Wann die Technik repariert wird und wieder funktioniert, ist offen. Dennoch ist die Haupthöhle der Carlsbad Caverns weiterhin für Besucher geöffnet. Der einzige Zugang ist nun allerdings zu Fuß über den Natural Entrance. Bei diesem handelt es sich um ein riesiges Loch. Der Blick hinein gibt nur einen ersten – kleinen – Eindruck von den Ausmaßen dieser unterirdischen Welt. Auf zwei Kilometern geht es in Serpentinen steil bergab. „Oh my God!“ Der erstaunte Ausruf eines vielleicht fünf Jahre alten Mädchens wird in den nächsten Stunden längst nicht der letzte sein.

Carlsbad Caverns Entrance
@NPS

Praktisch hinter jeder Ecke präsentiert sich die Höhle anders. Unterwegs bleiben wir immer wieder stehen. Je tiefer wir kommen, desto umfangreicher und vielfältiger werden die Tropfsteine. Der „Eisberg“ und das „Walmaul“ sind nur zwei Beispiele dafür. Wir befinden uns in einer von etwa 300 Kalksteinhöhlen in einem fossilen Riff. In der Gegend breitete sich vor 250 bis 300 Millionen Jahren ein riesiges Binnenmeer aus. Das Riff stürzte irgendwann ein, schließlich bildeten sich durch Auswaschung Hohlräume und letztlich Höhlen mit Sauerstoff.

Big Room

Die Top 50 der längsten vermessenen Höhlensysteme der Welt wird von der Mammoth Cave im US-Bundesstaat Kentucky angeführt. In dieser Beziehung kann Carlsbad nicht im Geringsten mithalten. Sie wartet aber mit anderen Superlativen auf. Eine davon, den Big Room, erreichen wir nach etwa eineinhalb Stunden. Hier wird schnell klar, dass der Name berechtigt ist: 225 Meter tief in der Erde breitet sich hier eine riesige Halle aus. Bei einer Höhe von bis zu 70 Metern umfasst sie fast dreieinhalb Hektar. Das ist genug Platz für sechs Fußballfelder. Auch der inoffizielle Namen „Hall of Giants“ ist alles andere als übertrieben. Der ausgeschilderte Rundgang misst zwar nur eineinhalb Kilometer und ist relativ eben. Dennoch sollte man dafür zwei Stunden einplanen. „Der Big Room ist einfach bombastisch“, zeigt sich ein Mann aus dem Raum Frankfurt begeistert. Tatsächlich geizt der Big Room wahrlich nicht mit Tropfsteinen. In Größe, Anzahl und Vielfalt der Verzierungen dürfte er weitgehend unerreicht sein. Stalagmiten, Stalaktiten, Säulen, Fahnen, Schinken und Formationen mit so bezeichnenden Namen wie Bottomless Pit, Giant Dome, Rock of Ages oder Painted Grotto laden zum Verweilen und Staunen ein. An einem Punkt – dem „Top of the Cross“ – hängen zwei Seile herunter. Sie wurden vor Jahren mit Heliumballons dorthin gebracht. Dann kletterten Ranger daran 70 Meter nach oben und erforschten den dortigen Teil der Höhle.

Lakes of Left Hand Tunnel, Carlsbad Caverns
@NPS Peter Jones

Ganz in der Nähe des Big Rooms beginnt mit der Kings Palace Tour eine Führung durch die schönsten Teile der Höhle, die ja längst nicht nur aus der riesigen Halle besteht. Sie sollte niemand verpassen. Allerdings ist sie mit bis zu 75 Personen häufig überlaufen. Heute dürften es nicht viel weniger sein. Die verschiedenen Räume, insbesondere die „Queens Chamber“ und der „Kings Palace“, übertreffen mit ihren filigranen Tropfsteinen die große Halle deutlich.

Höhlen-Tour

Einen ganz anderen Eindruck bietet die Left Hand Tunnel Tour. Sie führt ähnlich wie in der Slaughter Canyon Cave durch nicht erschlossenes Gelände. Im Gegensatz zu dort, werden aber keine Lampen eingesetzt. Stattdessen spenden hier Laternen aus Holz das nötige Licht. Die Kerzen vermitteln einen anheimelnden Eindruck. Ranger Greg Litten schätzt die zwölf Grad warme Carlsbad Cavern auch als „kühlen Platz im Sommer“. Er erläutert, dass große Teile der Höhle noch immer nicht erforscht sind. So wisse niemand, was sich über dem Big Room befindet. „Der Schutz der Höhle geht vor die weitere Erforschung“, betont er. In dieser Einschätzung ist er sich mit seinem Kollegen Michael Miner einig.

Die Laternen erzeugen zuckende Schatten. Auf dem Weg zum „Lake of the Clouds“, dem mit 345 Metern tiefsten Punkt der Cavern, regen sie die Fantasie an. Es stellen sich aber nicht nur positive Gedanken ein. Greg jedenfalls erinnert an Pläne, im Kriegsfall bis zu 25 000 Menschen in der Höhle unterzubringen. Sie sollten mit „einem Becher Wasser pro Person und Tag“ versorgt werden.

Im Left Hand Tunnel gibt es hunderte Fledermäuse und Kleinlebewesen. Ganz anders sieht es in der Haupthöhle aus. Am Natural Entrance spielt sich von Ende April bis Mitte Oktober jeden Abend ein besonderes Naturschauspiel ab: Hunderttausende Fledermäuse, die tagsüber mit ihren Füßen an der Decke hängen, verlassen kurz vor Sonnenuntergang die Höhle, um sich auf Futtersuche zu machen. In einem ununterbrochenem „Strahl“ fliegen die Tiere dicht unterhalb der Felsendecke ins Freie, wo sie sich spiralförmig nach oben schrauben. Das Amphitheater hat sich längst gefüllt, als sich der Höhleneingang schwarz färbt. Unmengen an winzigen, flatternden Wesen kommen aus dem Loch. Zu hören ist nur ein summen, das vom Flügelschlag herrührt.

Die Mexican Freetail Bats, eine der 14 im Nationalpark beheimateten Fledermausarten, überwintern im Süden und kehren nach 1100 Meilen immer wieder zur gleichen Höhle zurück. Heute sind sie schon eineinhalb Stunden unterwegs, ehe wir sie zu sehen bekommen. Sie sind auf dem Weg zur benachbarten Ebene, wo sie Käfer und Insekten fressen. Die nur gut zehn Zentimeter großen Tierchen fressen jede Nacht bis zur Hälfte ihres Körpergewichts. Das allabendliche Schauspiel wird von einem Ranger moderiert. Erst nach etwa einer halben Stunde wird es etwas ruhiger. Nun erweckt ein Stinktier die Aufmerksamkeit der Menschen, als es auf der Mauer hin und herläuft.

Hall of Giants
@NPS Peter Jones

Die Sonne ist längst untergegangen, als nach Stunden alle Fledermäuse die Höhle verlassen haben. Aus der Ferne kann der Schwarm leicht für Rauch gehalten werden. So erging es einst auch Jim White. Der 16-jährige Cowboy-Gehilfe aus Texas schaute nach und machte die Entdeckung seines Lebens. Das war 1898. Es dauerte fast zwanzig Jahre, ehe der Fotograf Ray Davis seine Aufnahmen vom Big Room veröffentlichte und so auch im Osten der Vereinigten Staaten das Interesse an der Höhle weckte. 1923 wurde sie zum National Monument erklärt und 1930 zum Nationalpark aufgewertet.

Carlsbad Caverns Nationalpark
3225 National Parks Highway, Carlsbad, NM 88220
Tel: 575-785-2232 * www.nps.gov/cave
Geöffnet: 8 Uhr bis 19 Uhr im Sommer; 8 Uhr bis 17 Uhr im Winter.
Eintritt: $15 Erwachsene; Kinder unter 16 Jahren gratis.
„Amerika the Beautiful“ Nationalpark Jahrespass $80 (pro Auto mit bis zu 4 Insassen). Ranger geführte Touren kosten extra.

WICHTIG: Aktuell müssen noch immer COVID-19 Regeln beachtet werden, d.h.:

Online-Reservierung für den Eintritt in die Carlsbad Cavern erforderlich.
Reservierungen müssen online oder telefonisch unter +1 877-444-6777 vorgenommen werden.
Die Reservierung dient nur zur Auswahl der Eintrittszeit.
Die Eintrittskarten müssen im Besucherzentrum gekauft werden.


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