Pearl Harbor

Angriff auf das Paradies

Atemberaubende Natur, Traumstrände, Gelassenheit und Leichtigkeit – Merkmale, mit denen sich Oahu und das Leben auf der hawaiianischen Hauptinsel gut beschreiben lässt. Im Moment steht uns der Sinn jedoch nicht nach Südsee-Romantik. Dafür sind die Eindrücke vom Besuch des USS Arizona Memorials in Pearl Harbor zu aufwühlend. Das Denkmal erinnert an den japanischen Angriff auf den Marinestützpunkt am 7. Dezember 1941 – jenen Tag, als der Krieg ins Paradies kam.

Hawaii

Die Ereignisse liegen ein Menschenalter zurück, haben sich aber wie kein anderes in der Geschichte ihres Landes fest in das kollektive Gedächtnis der Amerikaner eingebrannt. Mit 1,5 Millionen Besuchern jährlich gehört das vom Nationalparkservice verwaltete „World War II Valor in the Pacific National Monument“ zu den am stärksten frequentierten Ausflugszielen auf Hawaii. Entsprechend früh wollen wir draußen in Pearl Harbor sein, um ohne lange warten zu müssen einen Platz für die Überfahrt zum Memorial zu ergattern. Das hält uns aber nicht davon ab, in aller Ruhe unser Frühstück unter den alten Bäumen des Kapiolani Parks direkt am, um diese Uhrzeit noch, fast menschenleeren Strand von Waikiki einzunehmen. Mit dem Mietwagen brauchen wir nur eine halbe Stunde über den Highway 1, von dem wir hinter dem internationalen Flughafen auf den Kamehameha Highway abbiegen, und wenig später den Parkplatz vor dem modernen Besucherzentrum erreichen.

Hier wartet ein straff durchorganisiertes Programm auf uns, nachdem wir uns ein Ticket mit vorgegebener Zeit geholt haben. Der Ablauf ist immer der Gleiche: Zunächst wird ein mit viel amerikanisch-patriotischem Pathos versetzter aufwühlender Dokumentarfilm über den Angriff gezeigt. In 23 Minuten wird auch „the Road to War“ – der „Weg zum Krieg“ – anschaulich beschrieben. Gemeint sind jene jahrelangen Auseinandersetzungen zwischen Japan und den USA auf der diplomatischen Bühne, die den Kriegsausbruch schon lange als wahrscheinlich erscheinen ließen. Lediglich Zeitpunkt und Ort lagen demnach im Nebel der Geschichte, der sich in den Morgenstunden des 7. Dezember über Oahu in tragischer Weise lichten sollte.

Pearl Harbor
@HTA

Vom Kinosaal geht es direkt auf das Marineboot. Die Fahrt durch den von Kriegsschiffen gesäumten Hafen hinüber zum Memorial dauert nur wenige Minuten. Etwas länger Zeit haben wir in dem von Architekt Alfred Preis, einem gebürtigen Österreicher, entworfenen Memorial. Das Denkmal besteht aus einem etwa 60 Meter langen, strahlend weißen Bauwerk, das als künstliche Insel quer über dem Schlachtschiff USS Arizona liegt, das am 7. Dezember 1941 sank und 1177 Besatzungsmitglieder mit in die Tiefe nahm. „Das Bauwerk hängt in seiner Mitte durch, steht aber stark und kraftvoll gegen außen hin, was die anfängliche Niederlage und den endgültigen Sieg ausdrückt. Elemente der Traurigkeit wurden weggelassen, um jedem einzelnen genügend Raum für seine persönlichen Gedanken und innersten Gefühle einzuräumen“, beschreibt Preis sein 1962 eingeweihtes Werk.

Hinter dem Eingangsraum befindet sich eine offene Halle, in deren Mitte ein Loch im Boden den Blick auf die Arizona freigibt, in der die meisten Besatzungsmitglieder ihre letzte Ruhestätte gefunden haben. Durch die offenen Seiten ist das Wrack zu sehen, die verrosteten Geschütztürme liegen nur Zentimeter unter der Wasseroberfläche. Im Sonnenlicht schimmern bunte Ölteppiche, die von einigen Überlebenden als „black tears“ – schwarze Tränen – bezeichnet werden. Als das Schlachtschiff sank, befanden sich 5,3 Millionen Liter Treibstoff in den Tanks. Davon kommen noch heute täglich etwa 8,5 Liter an die Oberfläche. Im abgeteilten hinteren Teil der Gedenkstätte sind die Namen aller auf der USS Arizona Getöteten in eine Wand aus weißem Marmor eingraviert.

Pearl Harbor
@HTA/Kirk Lee Aeder

Auf dem Rückweg mit der Barkasse ist die Stimmung gedrückt, es wird kaum gesprochen. Die Menschen an Bord sind in Gedanken versunken. Viele versuchen, eine ganz persönliche Antwort auf das soeben Gesehene zu finden. Einer, der das für sich schon vor vielen Jahren geschafft hat, ist Robert Lee. Bei unserem ersten Besuch vor einigen Jahren war der alte Herr noch einer der letzten noch lebenden Augenzeugen des japanischen Angriffs. Vor dem Besucherzentrum gaben er und andere Veteranen bereitwillig Auskunft und signierten Bücher. Auch uns schilderte er seine Eindrücke, als lägen sie nur wenige Tage zurück.

Als US-Präsident Franklin D. Roosevelt am 8. Dezember im fernen Washington vor dem Kongress von „einem Tag der Niedertracht“ spricht, hört der junge Hawaiianer die Worte am Radio. Der damals 20-Jährige hat bis tief in die Nacht hinein mit einem improvisierten Krankenwagen Verwundete transportiert. Nun hat ihn ein Nachbar, der Vorsteher des Bahnhofs der Marinebasis von Pearl Harbor in die Wohnung gerufen, um dem Präsidenten zu lauschen. „Während dieser Rede schaute ich zum Fenster hinaus auf den Hafen. Dort sah ich die noch immer brennende USS Arizona vor mir“, erzählte Lee.

Pearl Harbor Robert Lee

Der damals 93-Jährige ließ seinen Erinnerungen freien Lauf. Er wußte noch genau, wo in Honolulu, Waikiki und an der Ostküste er mit seinen Kumpels den Samstagabend verbracht hatte. Zu diesem Zeitpunkt war der japanische Kampfverband aus 33 Kriegsschiffen – darunter sechs Flugzeugträger – bereits elf Tage unterwegs. Jetzt näherte er sich Oahu. Um 6 Uhr startete die erste Welle mit 183 Jagdflugzeugen und Bombern. Ihre Ziele waren die verschiedenen Flugplätze auf Oahu, wo die Flugzeuge akkurat aufgereiht auf dem Rollfeld standen. Innerhalb von Minuten waren fast alle amerikanischen Flugzeuge zerstört.

Wenige Minuten vor acht Uhr begann das Inferno über der Marinebasis in dem von Zuckerrohrfeldern umgebenen Nachbarstädtchen Honolulus. Nun wachte Robert Lee auf. Seine vier Jahre jüngere Schwester und deren Freundin hatten bereits einen Torpedoangriff auf die Schlachtschiffe beobachtet. „Für mich hörte es sich an, wie eine Tür, die vom Wind zugeschlagen wird. Aus dem Fenster sah ich direkt auf die vielleicht zwei Kilometer entfernte Battleship Row. Es war sofort klar, dass unsere Schiffe angegriffen wurden“, erzählte Lee.

Pearl Harbor

Die Flugzeuge warfen die Torpedos ab und kamen dann über Ford Island auf sein Elternhaus zu: „Sie waren so tief, dass ich die Piloten erkennen konnte. Die Schiffe hatten schwere Treffer abbekommen, Feuer und dicker schwarzer Rauch waren zu sehen. Nun wurde es laut, weil unsere Navy zurückschoss.“ Wenig später habe sich die USS Oklahoma am westlichen Ende von Ford Island „auf die Seite gelegt und ist schließlich umgekippt“.

Der 20-Jährige hatte inzwischen das Haus verlassen und sah vom Garten aus, dass versucht wurde, die USS Nevada aus dem Hafen zu bringen. Fast gleichzeitig wurde die USS Arizona von einer Bombe getroffen, ihr Magazin explodierte und „das ganze Schiff, der ganze Rumpf glühte innerhalb von Sekunden rot. Als das Schiff in die Luft flog, war ein lautes Dröhnen zu hören, Flammenzungen schossen Hunderte Fuß in die Luft. Den Druck der Explosion konnte ich noch eine Meile entfernt spüren.“

Torpedotreffer und Explosionen waren jetzt überall auf der Basis zu beobachten. In ihrer Not sprangen viele Matrosen in das mit Öl und Treibstoff bedeckte Wasser. „Die Seeleute, die herausgefischt wurden, waren mit Öl bedeckt. Sie wurden zu dem Pier in unserer Nähe gebracht. Meine Mutter, ich und die Mädchen wuschen sie mit Seife ab. Kaum war das geschehen, gingen viele zurück auf ein Boot, um weiter zu kämpfen.“

Pearl Harbor

Der Angriff der Japaner dauerte etwa eine halbe Stunde. Nach einer Pause folgte eine zweite Welle mit erneut etwa 150 angreifenden Flugzeugen: „Wir hatten Glück, dass sich die Japaner nach der zweiten Welle zurückzogen. In der Nähe gab es andere potenzielle Ziele wie die Treibstofftanks der Navy, eine U-Boot-Basis oder das Trockendock.“

Lee schloss sich einem Freund an, der den Lieferwagen einer Apotheke als Ambulanz nutzte: „Wir fuhren nach Hickam Airfield, um Verwundete zu versorgen und einzusammeln. Als es Nacht wurde, haben wir Frauen und Kinder in einem Konvoi von der Basis weggebracht, weil man einen weiteren Angriff befürchtete. Wir waren ohne Licht unterwegs. Ich lief einen Meter vor dem Auto her, um meinem Kumpel den Weg zu zeigen. Irgendwie schafften wir es, zum Depot der Hawaii Territorial Guard – wir waren damals ja noch kein Bundesstaat – zu kommen.“ Was er dort sah, ließ den alten Mann noch Jahrzehnte später den Kopf schütteln: „Die jungen Männer bekamen Gewehre und Munition in die Hand gedrückt, aber keine Einweisung. Manche ballerten in der Halle rum.“

Die Situation rund um Pearl Harbor entspannte sich erst Tage später etwas. „Wenig später wurde die Hawaiian Sea Frontier aufgebaut, die organisierte Verteidigung Oahus“, berichtete Robert Lee. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich das Kaiserreich Japan und die USA längst offiziell im Krieg miteinander.

Pearl Harbor

Von Kampfhandlungen bleibt Hawaii in den folgenden Kriegsjahren weitgehend verschont, wenngleich das Hauptquartier der Pazifikflotte noch heute in Pearl Harbor ist. Wir erinnern uns an die Schilderungen von Robert Lee, die auch heute noch sehr lebhaft wirken. Aus der Ferne werfen wir einen Blick auf das zu einem Museum umfunktionierte U-Boot USS Boufin und nehmen den Shuttle-Bus hinüber nach Fort Island. Die Insel ist noch immer Militärgebiet und kann nur im Rahmen einer Führung besucht werden. Unser Ziel dort ist das 1998 außer Betrieb gestellte letzte große Schlachtschiff, das die USA bauen ließen, die USS Missouri. In Sichtweite des Arizona Memorial vor Anker liegend, ist die Missouri ähnlich geschichtsträchtig: Auf dem Deck des Stahlkolosses wurde am 2. September 1945 die formale Kapitulation der Japaner unterzeichnet.

Punchbowl National Cemetery

Als wir später zurück zum Besucherzentrum kommen, bekamen wir noch einen Tipp: den Punchbowl National Cemetery. Der zwischen Waikiki und dem Finanzdistrikt Honolulus gelegene Tuffkegel ist schon von weitem sichtbar. Der 47 Hektar große Krater wird seit 1949 als nationaler Militärfriedhof genutzt. 30.000 Gräber sind durch flach in den Rasen eingelassene Steine gekennzeichnet. Es sind jedoch nicht die Gräber, die so beeindruckend sind: von der Terrasse am Rand der Anlage bietet sich einer der schönsten Blicke auf Honolulu, Waikiki und den Diamond Head. Diesen genießen wir in vollen Zügen, ehe wir rechtzeitig zum Sonnenuntergang zurück am Strand von Waikiki sind.

USS Arizona Memorial

Information:

Das USS Arizona Memorial in Pearl Harbor ist Teil des World War II Valor in the Pacific National monuments. Der Besucher betritt das Gelände am gemeinsamen Eingang mit den Museen Schlachtschiff USS Missouri, U-Boot USS Boufin sowie Pacific Aviation Museum. Für alle Stätten werden kostenpflichtige Touren angeboten. Der Besuch des USS Arizona Memorials ist kostenlos. Man muss sich jedoch im Voraus eine Zeit für die Bootstour reservieren. Man kann das für $1,50 online bis zu zwei Monate im Voraus vornehmen. Alternativ werden jeden Morgen 1.300 Tickets im Pearl Harbor Visitor Center freigegeben.

Photos: Beate Kreuzer

Honolulu Hawaii

 


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