Biosphäre 2

Am Anfang stand der Traum…

…von einer zweiten Erde, einem von unserem Mutterplaneten unabhängigen Lebensraum. Völlig autark sollte die Biosphäre 2 in Tucson, Arizona sein, eine Art Vorbote für eine menschliche Kolonie im Weltall. Das war in den 1980er und 90er Jahren. Geblieben sind eine gehörige Portion Ernüchterung sowie eine futuristische Kreuzung aus Kathedrale, Treibhaus und Forschungslabor der University of Arizona.

Bis zu 30 Meter ragt das Gebäude in die Höhe. Eine Pyramide ähnlich jenen, die die Ägypter vor Jahrtausenden in den Wüstensand stellten. Allerdings eine aus 6500 Glasscheiben und 77.000 Stahlstreben, die mehr als 200.000 Kubikmeter Raum umschließen. Dabei bietet die Biosphäre 2 Platz für drei Fußballplätze – oder die wichtigsten Ökosysteme der Erde. Bei ihrem Anblick kommt einem noch ein anderer Vergleich in den Sinn: der mit dem Glasdach des Münchner Olympiastadions. Die Gemeinsamkeit zwischen beiden Bauwerken liegt in den zahllosen Scheiben. In der Isar-Metropole bestehen diese aus Kunststoff, hier in den Hügeln, zwanzig Kilometer außerhalb von Tucson in der Wüste Arizonas, dagegen sind sie aus zweilagigem Glas gefertigt. Zwischen den Scheiben ist eine PVB-Folie eingearbeitet, um die Festigkeit zu erhöhen. Sie sollen dem Gebäude eine Lebensdauer von mindestens 100 Jahren garantieren. Es gibt allerdings auch einen entscheidenden Unterschied zum Olympiastadion. Dieses ist offen, wird also ständig von einem Luftzug gekühlt. Im Süden Arizonas dagegen brennt die Sonne häufig erbarmungslos auf einen abgeschlossenen Glaskasten.

Biosphere 2
Photo: Visit Tucson

Neuer Lebensraum

1991 ließen sich hier acht Wissenschaftler einschließen. Zwei Jahre lang harrten sie in ihrem freiwillig gewählten Gefängnis aus. Eine wesentliche Vorgabe war, völlig unabhängig von der Außenwelt zu leben. Sie produzierten ihren eigenen Sauerstoff für die Fotosynthese und pflanzten ihr eigenes Essen an. Um diesen Prozess zu unterstützen, wurde eine leichte, lichte Struktur gewählt. Auf diese Art sollte so viel Sonnenlicht wie möglich eingefangen werden. „Damals gab es kein anderes Gebäude auf der Welt, das dichter abgeschottet gewesen wäre”, erläutert Gästeführerin Kathlyn Giordano voller Stolz. Selbst Microorganismen sollten nicht in die Umwelt gelangen. Deshalb wurde das Gebäude auf einer 500 Tonnen schweren Schale aus Stahl gebaut, die zwischen zwei Scheiben aus jeweils 20 Zentimeter dickem Beton eingebettet ist. „Jeder Zentimeter davon wurde mit Röntgenstrahlen auf undichte Stellen untersucht”, erfahren wir auf unserem mehrstündigen Rundgang. Diese hermetische Abschottung erforderte eine Vielzahl ausgeklügelter Systeme, um die Biosphäre beherrschbar zu machen.

Ein Beispiel für die Herausforderungen, die es zu beherrschen galt, ist die schwankende Außentemperatur. Warme Luft dehnt sich aus. Die daraus resultierende Gefahr für die Biosphäre 2 – die Glasversiegelung könnte gesprengt werden. Kühlt sich die Luft dagegen ab, kann es zur Eintrübung des Glases kommen. Um die Problematik in den Griff zu bekommen, ist im Untergeschoss auf einer Fläche von etwa einem Hektar ein umfangreicher Technikbereich mit Einrichtungen für die Stromversorgung, Rohrleitungen und 26 Klimageräten untergebracht. 14 dieser Einheiten können die Luft erwärmen oder abkühlen, Teilchen aus der Luft filtern, die Luftfeuchtigkeit auf einem bestimmten Niveau halten und Kondenswasser erzeugen. Letzteres wurde genutzt, um Regen und Nebel zu erzeugen und den Ozean der Biosphäre aufzufüllen. Zu diesem Zweck wurde die Lufttemperatur bis unter den Taupunkt abgekühlt und dann über die kalten Spiralen der Klimageräte geblasen. Schließlich wurde das Kondenswasser aufgefangen.

Biosphäre 2

Für die Frage, wie man die Luft in und aus dem geschlossenen Glashaus bekommt, musste eine andere Antwort gefunden werden. Die Lösung der Wissenschaftler war ein Lagerraum für Luft. Dieser sollte das benötigte Volumen vorhalten. Die Biosphäre 2 hat zwei solcher künstlicher Lungen im Keller. Sie sind durch etwa 30 Meter lange, mannshohe Röhren zu erreichen und erinnern an ein UFO. Diese fliegenden – in diesem Fall eher schwebenden – Untertassen wiegen jeweils vier Tonnen, bestehen aus künstlichem Gummi und sind mit einem 16 Tonnen schweren Diskus aus rostfreiem Stahl verbunden. „Über unseren Köpfen schweben 20 Tonnen. Sie werden nur durch die Luft oben gehalten”, sagt Kathlyn und schmunzelt, ob der erstaunten Gesichter ihrer Besucher. Die Biosphäre konnte also selbstständig ein- und ausatmen. „Stell Dir vor, Du stehst morgens auf, kommst hier runter und dieser gesamte Apparat ist unten auf dem Boden. Er hat dann die Form eines Donuts”, versucht sie eine plastische Beschreibung. Die Wissenschaftler seien oft früh hierhergekommen, weil sie kurze Nächte hatten. „Wenn es tagsüber wärmer wurde und sich die Luft ausdehnte, sprengte sie nicht das Glas, sondern nahm den Weg des geringsten Widerstandes – den Tunnel also”, erläutert sie die Wirkungsweise der Lunge.

Die 17 Meter hohe Kammer füllte sich, die Membran stieg hoch und nahm den Diskus mit sich. „Zwölf Meter wurden einmal erreicht, während die Biosphäre bewohnt war. Es dauerte 20 Minuten, bis die Membran auf dem Boden angekommen ist. Das geht also recht gemütlich. Die Biosphäre ist nicht gescheitert. Sie ist vielmehr ein unglaubliches Forschungsinstrument, das ständig auf dem modernsten Stand gehalten wird.” Mit dieser Aussage spielt Giordano darauf an, dass die Isolation der Wissenschaftler nicht wie vorgesehen über die kompletten zwei Jahre vollständig aufrechterhalten werden konnte. Der Stahlbeton saugte schleichend Sauerstoff auf. Dieser verflüchtigte sich zudem wesentlich schneller durch das Glasdach als Kohlenstoffdioxid, da er ein wesentlich kleineres und leichteres Molekül ist. Im zweiten Jahr musste deshalb Sauerstoff von außen zugeführt werden, um den Verlust auszugleichen. Problematisch war zudem, stets genügend Nahrung für die vier Frauen und vier Männer zur Verfügung zu haben. Angesichts von häufig 70 Arbeitsstunden pro Woche konnte der Kalorienbedarf nicht immer ausreichend gedeckt werden.

Mit ihrem Langzeit-Selbstversuch verfolgten die Biosphäre-Bewohner mehrere Ziele. Sie bauten das Haus, um zu erforschen, wie die Erde funktioniert, wie Menschen mit diesen Systemen interagieren. Und sie wollten testen, wie Menschen in einer solchen Umgebung funktionieren – also leben – können. Im Hinterkopf spielte immer eine potenzielle Erforschung des Weltraumes eine Rolle. Die meisten jener acht Leute, die sich für den Versuch zur Verfügung stellten, hatten an der Entwicklung der diesem zugrunde liegenden Idee selbst mitgewirkt. Sie kamen aus völlig verschiedenen Berufen, da ganz unterschiedliche Erfahrungen und Fertigkeiten benötigt wurden: Biologen, Meeresbiologen, ein Medizinprofessor der Universität von Kalifornien, ein Chemiker und ein Hydrologe.

Biosphere 2 Living quarters

Planung und Bau der Biosphäre nahmen fast sieben Jahre in Anspruch. Aus der ganzen Welt wurden 4000 Pflanzenarten, Tiere und Insekten zusammengetragen, um eine möglichst große Biodiversität zu erreichen. „Sie brachten viel mehr davon hierher, als sie brauchten, weil sie Alternativen benötigten. Nur so war ein biologisches Gleichgewicht zu schaffen. Dieses Ziel wurde erste nach zehn Jahren erreicht, wobei manche Tiere oder Pflanzenarten ausstarben und andere überlebten”, erläutert Kathlyn. Auch Rinder, Hühner, Ziegen und Schweine wurden in dem Gebäude gehalten.

 

Die riesige Anlage, die auf 1200 Meter Höhe in den Catalina Mountains bei Tucson in der Sonora-Wüste liegt, wird seit 2007 von der Universität von Arizona betrieben. Die Hochschule ist nach einer Schenkung auch Eigentümerin des Komplexes. Die Wissenschaftler, die heutzutage hier arbeiten, können in der Anlage die Bedingungen vollständig kontrollieren und gleichzeitig erforschen, was in der Natur geschieht. „So bekommen sie ein vollständigeres Bild”, sagt Kathlyn Giordano und zeigt uns, wie und wo die erste Biosphären-Besatzung lebte: 23 Quadratmeter sowie ein Raum eine Etage höher samt mit dem Nachbar geteiltem Badezimmer – das musste an Privatsphäre reichen.

Regenwald und Ozeane

Der Zugang vom Wohnbereich zur eigentlichen Biosphäre erfolgt durch eine Schleuse, um die Bedingungen darin konstant zu halten. Heute hat diese eher den Zweck, die zahlreichen Besucher im Blick zu halten. Wir stehen hier in der Savanne, dem ersten von fünf Lebensräumen, die in der Biosphäre nachgebildet sind. Selbst Moskitos fehlen nicht, wie wir auf unserer Tour schmerzhaft feststellen. Durch das afrikanische Grasland erreichen wir den karibischen Ozean – ein Becken, in das 400.000 Liter Meerwasser aus dem Pazifik bei Kalifornien gefüllt wurden. „Das ist wie der Samen für diesen Ozean, weil darin die ganzen Mikroorganismen und Bakterien enthalten sind”, erläutert Giordano.

Biosphere 2 Rain Forest

Brunnenwasser und Meereslebewesen aus der Karibik vervollständigten dieses Ökosystem, das von den Wissenschaftlern auch als Schwimmbad samt Sandstrand genutzt wurde. Immer wieder kommen wir an Messgeräten und Versuchsanordnungen vorbei. So etwa an drei Dendrometern, die die Wasserversorgung von Pflanzen messen und ihre „Atmung” registrieren. Nachts speichern sie die Flüssigkeit, die sie während des folgenden Tages nutzen. Dabei ziehen sich die Bäume zusammen. Über einen Holzsteg und Treppen geht es hoch zum tropischen Regenwald. War die Luft in Wüste und Savanne relativ trocken, stehen wir hier plötzlich zwischen Urwaldbäumen im Nebel und werden an die ursprüngliche Absicht hinter dem Projekt Biosphäre 2 erinnert. Dieser Bereich lässt sich so versiegeln, dass die Forscher die absolute

Kontrolle über zum Beispiel Temperatur, Luftdruck und jede noch so kleine Menge Wasser haben, die hier hereinkommt. Die Anlage ist zwar keine zweite Erde geworden, aber immerhin ein zweiter Amazonas-Regenwald auf 2200 Quadratmetern.

Biosphäre 2 ist eine Miniwelt mit Ozean, tropischem Regenwald, Wüste, Savanne und Marschland, ergänzt durch eine Farm und einen Wohntrakt. Das knapp eineinhalb Hektar große futuristische Gebäude wurde zwischen 1987 und 1991 gebaut und von dem texanischen Milliardär Ed Bass finanziert. Die Kosten sollen 150 Millionen US-Dollar betragen haben. Die Anlage gilt als das größte geschlossene Ökosystem der Erde und zur Zeit des Baus als das luftdichteste Gebäude der Welt.

Letzteres war nötig, weil in dem überdimensionierten Gewächshaus von 1991 bis 1993 acht Wissenschaftler von der Außenwelt abgeschlossen leben und forschen sollten. 4000 Pflanzen aus aller Welt sollten den benötigten Sauerstoff sowie Nahrung für die Menschen und Tiere produzieren. Die Überlegung der Beteiligten war es, eine Umgebung zu schaffen, die klein genug ist, um sie zu beherrschen, aber auch so komplex und vielfältig, um als Labor zur Untersuchung von natürlichen Ökosystemen der Erde zu dienen. Das Experiment brachte eine Reihe von Schwachpunkten zum Vorschein, etwa im zwischenmenschlichen Bereich, oder die Aufrechterhaltung eines auf Dauer ausreichend hohen Sauerstoffgehalt in der Atmosphäre.

Distant Fisheye

Das neueste Projekt von Biosphäre 2 ist LEO – ein Landschaftsentwicklungs-Observatorium. Es besteht aus drei großen Landschaften, die innerhalb einer ökologisch kontrollierten Gewächshaus-Anlage errichtet werden. LEO wird sich mit grundlegenden „große Herausforderungen” der wissenschaftlichen Erdsysteme befassen: Wie werden sich die Landschaften der Erde durch den Klimawandel verändern? Wie verändern biologische Systeme wie Vegetation und Mikroben die Landschaften? Welchen Einfluss hat der Klimawandel auf die Wasserressourcen? Der Bau von LEO ist fast komplett und die erste Landschaft ist bereits in Betrieb. Der zweite und dritte Berghang wird noch in diesem Jahr fertiggestellt

Biosphäre 2 wurde von Time Life Books als eines der 50 „Weltwunder” genannt, die man gesehen haben muss. Im Besucherzentrum befinden sich Exponate und Multi-Media Anzeigen sowie ein Buchladen und Café. Außerdem wird ein Spielfilm gezeigt, der die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Projektes beschreibt. Eine Tour durch die Biosphäre 2 bietet die Gelegenheit, Wissenschaft in einer freundlichen und angenehmen Atmosphäre zu erleben.

Ganz aktuell ist die Biosphere 2 Experience App, die noch nie zuvor gesehene Fotos und Videos enthält, die die Wissenschaft und die 30-jährige Geschichte veranschaulichen. Durch wissenschaftliche Geschichten und Interviews hat man die Möglichkeit, mehr über die erstaunliche, erstklassige Forschung zu erfahren, während man einen sicheren (sozial distanzierten) Einwegpfad um das Äußere und durch den menschlichen Lebensraum sowie die Wildnisgebiete von Biosphere 2 zurücklegt!

Das Erlebnis Biosphäre 2 dauert etwa 1 Stunde und 15 Minuten. Biosphere 2 ist jeden Tag (außer an Thanksgiving und Weihnachten) von 9 bis 16 Uhr geöffnet. Es wird nur eine begrenzte Anzahl von Eintrittskarten pro Stunde und Tag verkauft. Sobald das Limit erreicht ist, müssen interessierte Gäste eine andere Zeit und/oder einen anderen Tag wählen.

Besichtigung und Touren unterliegen besonderen Richtlinien. Aufgrund von Treppen sind z.B. weder Rollstuhl noch Kinderwagen erlaubt; Babies und Kinder dürfen nicht auf Schulter/Rücken der Eltern getragen werden. Entsprechende Kleidung und solides Schuhwerk ist empfohlen, da die Tour sowohl drinnen wie auch im Freien stattfindet. Mehr Info und Details findet man auf der Webseite https://www.b2science.org

Photos: Beate Kreuzer; Visit Tucson; University of Arizona – Biosphere 2

Biosphere 2 at night
Photo: Gill Kenny/Visit Tucson

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